Erklärung
ostdeutscher
Vereine und Verbände zur Nichtannahme
von
Verfassungsbeschwerden zum § 6 sowie § 7 AAÜG
Am 13.12.2017
veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Pressemitteilung, in
der die Nichtannahme von Verfassungsbeschwerden verkündet wurde. In den
Begründungen der Nichtannahme wird die vom DDR-Durchschnittseinkommen
abgeleitete Rentenkürzung für neun Personengruppen entsprechend § 6 (2) des Gesetzes
zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen
des Beitrittsgebietes (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz -AAÜG) als
verfassungsgemäß bezeichnet.
Dem Gesetzgeber komme bei der notwendigen Neuordnung
sozialrechtlicher Rechtsverhältnisse im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung ein
besonders großer Gestaltungsspielraum zu. Er habe zu berücksichtigen, dass
Empfänger von Zusatz- und Sonderversorgungen grundsätzlich weniger
schutzbedürftig seien als sonstige Rentner. Er müsse bei der Begrenzung der
überführten Entgelte nicht zwingend an der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze
haltmachen, da ungerechtfertigte Privilegien auch im normalen Streubereich der
Gehälter unterhalb dieser Grenze vorkommen können.
Weiterhin sei zu bejahen, dass der im § 6 (2) AAÜG erfasste
Personenkreis „Förderer“ des Systems der DDR war und durch seine besondere
Stellung zur Aufrechterhaltung des Staats- und Gesellschaftssystems der DDR
beigetragen hätte. Die Anknüpfung an „eng begrenzte Führungspositionen des
Staatsapparates der DDR“ werde als allein ausreichende Rechtfertigung für die
Entgeltbegrenzung angesehen.
Mit dem Verweis auf die Forderung des Einigungsvertrages
nach Abschaffung ungerechtfertigter und Abbau überhöhter Leistungen und die
Weiterführung von Differenzierungen der letzten Volkskammer der DDR wird
zusätzlich der Anschein von Rechtmäßigkeit erweckt. Es ist jedoch mittlerweile
belegt, dass die von westdeutschen Politikern erdachten Rentenkürzungen
keineswegs dem Willen der letzten Volkskammer der DDR entsprachen. Danach wären
z.B. selbst den Angehörigen des MfS 1,47 Entgeltpunkte zugestanden worden.
Ausdrücklich gesteht das BVerfG ein, dass den
gesetzgeberischen Entscheidungen zur Rentenhöhe keine tatsächlichen Erhebungen
zu Lohn- und Gehaltsstrukturen zugrunde liegen. Auch wird eingeräumt, dass sich
der Gesetzgeber in einem höchst komplexen und unübersichtlichen
Regelungsbereich bewege, in dem Härten nur unter großen Schwierigkeiten
vermeidbar seien.
Wie schon Ende 2016, als das BVerfG Verfassungsbeschwerden
gegen die Rentenkürzungen für ehemalige MfS-Mitarbeiter nach § 7 AAÜG nicht zur
Verhandlung annahm, sind die erneut nicht angenommenen Verfassungsbeschwerden
ein Beleg für die weitere Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland.
Rechtsstaatliche Grundsätze, wie die Achtung der Menschenwürde,
das Gleichheitsgebot, der Schutz des persönlichen Eigentums (auch bei durch
persönliche Beitragszahlungen erworbenen Rentenansprüchen), die
Verhältnismäßigkeit, der Vertrauensschutz, die Prüfung
der individuellen Verantwortung u. a. werden erneut mit Füßen getreten.
Unverhohlen wird für rechtens anerkannt, Personen wegen
ihrer Tätigkeit in und für die DDR mit Strafrenten zu belegen. Das ist politisch motivierte Willkür! Selbst
verurteilten Mördern werden erworbene Rentenansprüche nicht gekürzt,
ausländischen SS-Schergen sogar Zusatzrenten gewährt.
Den von der Rentenstrafe Betroffenen, wird u.a. zum Vorwurf
gemacht, die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung, das
sozialistische Eigentum und die Volkswirtschaft, die gesetzlich garantierten
Rechte und Interessen der Bürger geschützt, gewahrt und durchgesetzt und das sozialistische Staats- und Rechtsbewusstsein der
Bürger gefestigt zu haben sowie auf ihre gesellschaftliche Aktivität,
Wachsamkeit und Unduldsamkeit gegen jede Rechtsverletzung und deren Vorbeugung
Einfluss genommen zu haben.
Dem Grundgesetz nach sind alle Menschen vor dem Gesetz
gleich und zwar auch unabhängig von ihrer Herkunft und ihren politischen
Anschauungen. Für ehemalige DDR-Bürger gilt das offenbar nicht. Dabei ging es
bei den vorgebrachten Verfassungsbeschwerden um keine privilegierte
Altersversorgung, wie irreführende Pressemeldungen glauben machen wollen,
sondern um Gleichbehandlung mit allen anderen DDR-Bürgern, um Rentenzahlungen
nach eingezahlten Beiträgen bis zur Beitragsbemessungsgrenze.
Seit der Wiederherstellung der staatlichen Einheit
Deutschlands sind mehr als 27 Jahre vergangen. Das scheint eine ausreichende
Zeit zu sein, um die Abrechnung mit der DDR und den Kalten Krieg endlich zu
beenden und von Rachsucht und Hass geprägte Entscheidungen zu korrigieren. Es
ist höchste Zeit, zu einer Politik des Ausgleichs und der Vernunft zurückzukehren,
wie sie schon vor mehr als 60 Jahren in einem Memorandum der Bundesregierung zur Frage der Wiederherstellung der Deutschen
Einheit formuliert wurde, das am
7. September 1956 durch die Botschafter der Bundesrepublik in Moskau,
Washington, Paris und London übergeben wurde. Darin heißt es u.a.: „Die Bundesregierung ist der Überzeugung,
dass freie Wahlen in ganz Deutschland, wie sie auch immer ausfallen mögen, nur
den Sinn haben dürfen, das ganze deutsche Volk zu einen und nicht zu entzweien.
Die Errichtung eines neuen Regierungssystems darf daher in keinem Teil
Deutschlands zu einer politischen Verfolgung der Anhänger des anderen führen.
Aus diesem Grund sollte nach Auffassung der Bundesregierung dafür Sorge
getragen werden, dass niemand wegen seiner politischen Gesinnung oder nur weil
er in Behörden oder politischen Organisationen eines Teils Deutschlands tätig
gewesen ist, verfolgt wird.“
Auch 27 Jahre nach dem Anschluss der DDR an die BRD
bestimmen Hass und Hetze den Umgang mit Personen, die Kunst, Kultur, Bildung,
Sport, Wissenschaft, Politik, Friedenserhalt, Justiz und Sicherheit der DDR
repräsentieren. Ihre Lebensleistung, wie auch die aller engagierten DDR-Bürger,
wird weiter diffamiert.
Besonders die Angehörigen aller bewaffneten Kräfte der DDR
haben in der Zeit des Kalten Krieges sowie in der Zeit des politischen Umbruchs
1989 einen wichtigen Beitrag geleistet, damit Waffen nicht zum Einsatz kamen
und ein neuer Weltkrieg verhindert wurde. Unsere Menschenwürde gebietet, den
Kampf für eine gerechte Bewertung unserer Lebensleistung, gegen Ausgrenzung und
Diskriminierung fortzusetzen.
Unsere Organisationen und Vereine, Initiativen und Verbände
verfügen über das notwendige politische Gewicht, um sich Gehör zu verschaffen. Ihr
Erhalt und ihre Festigung sind notwendig angesichts wachsender Kriegsgefahr,
bei der selbst ein Atomkrieg nicht mehr ausgeschlossen werden kann angesichts
des Vormarsches faschistoider Kräfte in Deutschland und in Europa, des
wachsenden Einflusses neoliberaler Kräfte und der weiteren Vertiefung sozialer
Verwerfungen.
Darüber hinaus stehen wir als kompetente Zeitzeugen in der
Verantwortung, gegen Lügen und Verleumdungen zur Verteidigung der historischen
Wahrheit über die DDR beizutragen. Wir werden solange um die sozialen und
demokratischen Rechte kämpfen, bis der soziale
Frieden in unserem Land hergestellt ist.
Der Drang zur weiteren Erhöhung der Rüstungsausgaben sowie
die Eskalation der Kriegshysterie behindern zugleich die Lösung sozialer
Fragen. Deshalb unterstützen wir vorbehaltlos alle Initiativen für Frieden und
Abrüstung.
Denken wir immer an die mahnenden Worte von Bertolt Brecht:
„Wenn Unrecht zu Recht
wird, wird Widerstand zur Pflicht!“
Wir fordern:
·
Statt
deutlicher Erhöhung der Rüstungsausgaben eine verstärkte Friedenspolitik nach
dem Motto
„Frieden schaffen ohne Waffen“. Alle
friedliebenden Kräfte rufen wir dazu auf, alles zu tun, damit der gemeinsame
Schwur der Deutschen und der Siegermächte nach der bedingungslosen Kapitulation
von Nazi-Deutschland Wirklichkeit bleibt. Nie wieder darf der Faschismus in
Deutschland sein Haupt erheben;
·
alles
ist zu tun, dass faschistische Parteien verboten werden und solche mit
faschistoiden Programmen keinen Zulauf erhalten;
·
den
Einsatz freiwerdender Mittel aus der Abrüstung und dem „Nicht-Hochrüsten“ für
die Beseitigung aller sozialen Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten zu
verwenden, darunter auch zur Beendigung der rentenrechtlichen Willkür des Missbrauchs des Rentenrechts als Strafrecht, wie es
in der deutschen Geschichte nur in Nazi-Deutschland praktiziert wurde;
·
dass
die Bundesrepublik endlich die von der UNO kritisierte Diskriminierung Ostdeutscher
beendet und mit der Ratifizierung des Fakultativprotokolls zum Wirtschafts- und
Sozialpakt individuelle Beschwerden in sozialen Fragen bei der UNO ermöglicht.
Präsident des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden (OKV)
Vorsitzender der Initiativgemeinschaft zum Schutz sozialer
Rechte ehemaliger Angehöriger der bewaffneten Organe und der Zollverwaltung der
DDR (ISOR e.V.)
Vorsitzender der Gesellschaft für rechtliche und humanitäre
Unterstützung (GRH e.V.)
Bundesvorsitzende der Gesellschaft für Bürgerrecht und
Menschenwürde (GBM e.V.)
Vorsitzender des Verbandes zur Pflege der Traditionen der
NVA und der Grenztruppen der DDR (VT NVA GT)
Vorsitzender des Bündnisses für Soziale Gerechtigkeit und
Menschenwürde (BÜSGM e.V.)